Liebeserklärung an Berlin, die erste

Liebeserklärung an Berlin

Berlin,
deine tätowierten Körper

Am ersten warmen Frühsommertag in diesem Jahr bin ich dir wieder begegnet: Berlin. Mit einem Schlag von 6 auf 23 Grad. Damit hast du die Menschen in deinen Straßen wieder glücklich gemacht. Du hast die Wiesen gefüllt, die Weinschorle kalt gestellt und dafür gesorgt, dass deine Bewohner ihre Kleider ablegen. Und das alles nur, damit sie uns dein wahres Gesicht offenbaren. Denn erst wenn die Temperaturen steigen, kommt all die Tinte unter der Haut zum Vorschein, die den ganzen Winter über unter dicken Wollpullovern ausharren musste.

Wo man jetzt auch hinsieht, alle tragen sie Bruchteile eines Gemäldes mit sich herum, die im Gesamten dein Selbstbild spiegeln.  Die ganze Palette an Tattoo-Historie ist abgedeckt: Die schon verblasste Körperbemalung all derjenigen, die schon vor uns da waren, die Tribal-Trends der 1990er Jahre, die Füchse und Wale von heute, aber auch die ganzen Eigenversuche an den Körperstellen, an die man eben selbst nur im Schneidersitz mit der Nadel heran kommt.

Liebeserklärung an Berlin

Als ich neulich am ersten heißen Tag des Jahres aus der U-Bahn steige und um mich herum all die tätowierten Menschen in kurzen Hosen, Kleidern und T-Shirts sehe, die gerade von der Arbeit kommen oder Einkaufstüten mit sich herumtragen, finde ich deinen Charme in diesen Menschen  wieder. Natürlich zeigst du mir dein wildes Gesicht versteckt zu jeder Jahreszeit – zum Beispiel, wenn ich dich im Club besuchen komme. Doch bei Tageslicht zeichnen nun nicht mehr nur deine jungen Tanzwütigen dieses Bild. Es sind auch der Alt-Pirat im Discounter, die zugezogene Italienerin mit ihrem Schmetterlings-Tattoo oder die junge Mutter aus Prenzlauer Berg. Jeder ist schön in seiner Auffassung und wird hier auch nicht angestarrt, denn das hast du gar nicht nötig.

Deine Vielfalt macht dich zu unser aller besonderen Heimat. Deine Gleichgültigkeit lernen wir besonders dann zu schätzen, wenn wir in anderen Herrenländern wegen Körperschmuck und -bemalung schief angeschaut werden. Natürlich hast auch du deine Kleingeister, die  in Schnappatmung verfallen, wenn sie sehen, dass ein Jedermann stolz seine Tätowierung mit sich herumträgt. Sie finden es dreckig und rümpfen die Nasen. Doch diese Menschen leben in ihren eigenen Grenzen und können ihre Enge – andere würden Provinizialismus sagen – dort gerne ungehindert ausleben. Ich komme da sowieso eher selten vorbei.  Berlin, du bist so wunderschön gekleidet, in Sonnenschein, kurzen Röcken und Tattoos.

Liebeserklärung an Berlin

Kleid: Beyond Retro Vintage Clothing London

Schuhe: Park Lane – Espadrille-Sandalen aus Wildleder by Asos

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